Autor: Paul, ein Sexsüchtiger,
"Liebt einander!" 2/2009 → Die Bewegung der Reinen Herzen
Dies ist der zweite und letzte Teil des Zeugnisses von Paul.
Der erste Teil
(Liebt einander! 1-2009)
handelte von der Entwicklung der Sexabhängigkeit bis zum Moment des Therapiebeginns
mit der Methode der Sexoholics Anonymous (SA). Frühere Behandlungsmethoden
hatten keinen Erfolg gebracht.
Nachdem ich den Artikel, der mir meine Abhängigkeit vom Sex vor Augen
geführt hat, gelesen hatte, sagte ich zu meiner Frau, dass ich zu den
Treffen der Suchtbetroffenen gehen möchte. Meine Frau war davon zwar nicht
begeistert, sie war aber auch nicht dagegen. Ich ging also zu einem Treffen.
Die Hoffnung, die ich damit verband, war weit aus größer als die Scham,
die ich empfand. Außer mir kamen nur noch zwei andere Teilnehmer. Ich
erfuhr etwas über die allgemeinen Regeln der Gemeinschaft. Man verfuhr
nach den bereits erprobten 12 Schritten, die sich bei den Anonymen Alkoholikern
als erfolgreich erwiesen hatten. Dieses Programm lässt sich bei verschiedenen
Suchtproblemen anwenden.
Am Anfang musste ich die Tatsache akzeptieren, dass ich meine Konfrontation
mit der Sucht verloren hatte und sie immer wieder verlieren würde, wenn
ich versuchte, den Kampf alleine zu führen. Ich musste die Tatsache akzeptieren,
dass keines Menschen Kraft der Sucht Widerstand zu leisten vermag, dass
ich unwiederbringlich die Kontrolle über mein Leben verloren habe und
dass nur Gott allein mich von der Sucht befreien kann. Ich erfuhr auch,
dass ich mein neues Leben in Abstinenz in Intervallen von lediglich 24
Stunden planen soll, dies aber täglich. Beim ersten Treffen erfuhr ich
auch, dass ich mich in Situationen, wenn Versuchungen aufkommen, mit anderen
Teilnehmern kontaktieren soll, um von ihren Erfahrungen zu profitieren.
Das Treffen war für mich weder ein positive Erschütterung noch eine Enttäuschung.
Allgemein gesagt fühlte ich mich ganz gut danach. Ein paar Tage später
masturbierte ich jedoch wieder. Am nächsten Tag, es war der 8.September
2003, entschloss ich mich, die Treffen regelmäßig aufzusuchen.
Mit dem Beginn der Teilnahme an den Treffen der SA (Sexoholics Anonymous)
kehrte das Gebet wieder in mein Leben zurück. Am Anfang war es das Gebet
der Süchtigen: „Herr, hilf mir zu erkennen, was ich ändern kann und gib
mir den Mut es zu tun, hilf mir zu erkennen, was ich nicht ändern kann
und schenke mir den Geist der Freude, um es hinzunehmen. Gib mir die Weisheit,
zwischen beiden zu unterscheiden“. Ich sprach das Gebet mit der ganzen
Gruppe bei jedem Treffen und immer öfter auch alleine. Das Programm der
SA empfiehlt das Beten. Anfangs diente mir das Gebet nur dazu, um mich
von der Versuchung abzulenken. Ich hatte keine tieferen religiösen Gefühle.
Das Programm der SA führte mir jedoch vor Augen, dass sich in meine Beziehung
zu Gott ein grundsätzlicher Fehler eingeschlichen hatte. Ich verstand
diesen zunächst nicht, glaubte aber aufs Wort, dass meine ganze Weltanschauung
durch die Sucht deformiert war.
Nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass ich immer öfter betete, dass
ich dies auch unbewusst tat, indem ich die Gebete der Kirche (Gegrüßet
seist Du Maria, Vater unser), die ich aus meiner Kindheit und Jugend kannte,
sprach. Dies überraschte mich sehr, denn ich rebellierte ja allgemein
gegen die Kirche, insbesondere gegen den Marienkult. Und ich hatte diese
Rebellion zu dieser Zeit nicht aufgegeben, betete aber gleichzeitig das
Ave Maria.
Die Rettung im Programm
Nach ungefähr drei Monaten Abstinenz überfielen mich getarnte Entzugserscheinungen:
Ängste, Panikattacken, Kopfschmerzen und allgemeine Ermattungserscheinungen
des ganzen Organismus, die letztendlich in schwere Virusinfektionen übergingen.
Diese Erscheinungen empfand ich als weniger schmerzhaft als diejenigen,
die ich zu Beginn der 90er Jahre verspürt hatte. Dies verhielt sich deswegen
so, weil die Methoden der AA, die auch bei den SA Anwendung finden, bei
richtiger Anwendung Erleichterung in der Bedrängnis bringen.
Als ich die erste Krise überstanden hatte, verstand ich, dass ich die
nächste vielleicht nicht überstehen würde, wenn ich das Programm der SA
nicht intensiver verwirklichte. Da ich bei meinen Treffen nicht die Möglichkeit
hatte, mit jemandem zu sprechen, der schon längere Zeit ununterbrochen
„clean“ war, nutzte ich die Verbindungen eines Gruppenmitglieds und ging
zu einem Treffen der Anonymen Drogenabhängigen, die nach derselben Methode
wie die Anonymen Alkoholiker verfahren. Bei diesem Treffen stellte sich
heraus, dass ich alle Aussagen der Menschen, die von chemischen Substanzen
abhängig waren, wunderbar nachvollziehen konnte und auch sie mich verstehen
konnten. Bis auf den heutigen Tag sage ich über mich, dass ich ein besonderer
Drogenabhängiger bin, der seine Droge im eigenen Gehirn produziert.
Bald entdeckte ich unter den Teilnehmern der Drogenabhängigen-Treffen
einen Menschen, dessen Heilungsweg mir besonders ersterbenswert erschien:
Er hatte eine Frau und Kinder, eine feste Arbeit, eine lange Abstinenzzeit
hinter sich sowie eine positive Einstellung zum Leben trotz vieler Probleme.
Er hielt sich auch für einen Sexsüchtigen, wobei er auch in diesem Bereich
eine Heilung erfahren hatte, die ihm zufolge schon viele Jahre anhielt.
Die Tatsache, dass er praktizierender Christ war, störte mich erstaunlicherweise
keineswegs (Dabei war ich die ganze Zeit über der Kirche gegenüber negativ
eingestellt). Ich muss an dieser Stelle erläutern, dass bei allen Methoden,
die denen der AA nachgebildet sind, eine Art Sponsoring praktiziert wird.
Das bedeutet, dass Teilnehmer, die erfolgreich gesunden, Anfänger bei
ihren Bemühungen unterstützen, indem sie ihre Erfahrungen mit diesen teilen.
Ich bat also meinen neuen Bekannten um dieses Sponsoring, und er war
sofort und mit Freude einverstanden.
In dieser Zeit las ich auch das Buch von Graham May „Abhängigkeit und
Gnade“, das mir andere empfohlen hatten und welches mich sehr berührte.
Es wurde mir bewusst, dass ich durch die Sucht einem „fremden Götzen“
gedient hatte, dass ich gegen das Erste Gebot verstoßen habe, da an der
ersten Stelle in meinem Leben der Genuss stand. Ich verstand auch, dass
das Leiden und die Nichterfüllung in irdischen Bereichen alle Menschen
betreffen, dass ich keine Ausnahme darstelle und dass die vollkommene
Erfüllung erst nach meinem Tod möglich wird, wenn meine Seele Gott schauen
wird. Ich hatte auch verstanden, dass ich ein Nutznießer der Gnaden Gottes
bin und dass mein Leben in Gottes unergründlichem Plan einen tieferen
Sinn hat. Auch meine Krankheit und meine Leiden haben einen Sinn – dadurch
kann ich nicht zuletzt auch anderen Betroffenen helfen.
Abrechnung
Die Arbeit mit dem Programm der SA unter der Leitung meines Sponsors
führte mir die verheerende Verwüstung und die immensen Schäden, die die
Sexabhängigkeit in meinem Leben verursacht hat, deutlich vor Augen. Als
ich einzelne Episoden aus meiner Suchtvergangenheit betrachtete, konnte
ich diesen Zustand nicht anders als Besessenheit oder Irrsinn bezeichnen.
Erst da wurde mir das monströse Ausmaß dieser Erscheinung richtig bewusst.
Ich rechnete ziemlich genau aus, dass die gesamte Zeit, die ich für mein
Suchtverhalten verschwendet hatte, gut vier Jahre meines Lebens ausfüllte.
Ich konnte zunächst nicht daran glauben, doch jede Rechnung endete mit
diesem Ergebnis. Die Gesamtsumme meiner materiellen Verluste, der mittelbaren
und unmittelbaren, betrug mehrere Hunderttausend Euro. Dazu kamen die
unterschiedlichsten Misserfolge bei der Ausbildung und im Berufsleben,
die im Endeffekt zur völligen Vergeudung meines Wissens und Könnens geführt
haben. Denn obwohl ich Hochschulabsolvent war und einige Fremdsprachen
beherrschte, verrichtete ich später in meiner eigenen Firma nur schwere
körperliche Arbeit … Meine Ehe war eine einzige Katastrophe und ich hatte
grundsätzlich Probleme, eine emotionale Beziehung zu meinen Kindern aufzubauen.
Mit meinen Eltern stritt ich um alles und jedes. Ich hatte keine Freunde
und meine Firma war am Ende auch pleite, es blieben mir nur Schulden …
Meine Fähigkeit, mit anderen in Kontakt zu treten, ging mit der Sucht
unter, mein Sinn für das Schöne und Gute erstarb … Meine Bindung zu Gott
wurde durch mich selber unterbrochen. Mein körperliches Wohlergehen hatte
ich schwer vernachlässigt. Die Psyche funktionierte auch nicht mehr normal.
Ich war nicht imstande, die einfachsten, lebensnotwendigen Schritte zu
unternehmen (Arbeit, Bildung, Familienunterhalt). Ich erkannte, dass mir
das Leben völlig entglitten war. Ich war bankrott und das in jeder Beziehung
…
Vorboten der Erneuerung
Gleichzeitig erkannte ich durch meine Arbeit mit dem Programm der SA,
dass meine mehrere Monate andauernde sexuelle Abstinenz erste Vorboten
einer Erneuerung in meinem Leben mit sich brachte. Ich knüpfte zum ersten
Mal in meinem Leben ein Band zu meinen Kindern. Ich weiß noch den Tag,
an dem ich das erste Mal gerne mit ihnen spielte. Außerdem versöhnte ich
mich mit meinem Vater und auch die Beziehung zu meiner Mutter besserte
sich. Auch das Verhältnis zu meiner Frau wurde besser, obwohl dies nicht
gerade einfach war. Die Abstinenz befreite mich nämlich nicht von meinen
schlechten Charaktereigenschaften, besonders nicht von meinem monströsen
Egoismus, der sich hinter der Sucht verbarg und diese verstärkte. In der
neu entstandenen Situation waren diese meine Schwächen für meine Frau
besonders schwer zu ertragen.
Nach einem halben Jahre Abstinenz fasste ich den Beschluss, meine bankrotte
Firma aufzulösen. Ich sagte auch meinen Eltern die Wahrheit über meine
Krankheit. Sie zeigten Verständnis und Liebe. Als sie auch die Wahrheit
über meine finanzielle Lage erfuhren, übernahmen sie (trotz ihres fortgeschrittenen
Alters und obwohl ich nicht gewagt hätte, sie darum zu bitten) alle meine
Schulden. Ich fing an, Menschen aufrichtig um Hilfe zu bitten – und ich
erhielt Hilfe. Ein guter Mensch half mir, Arbeit zu finden. Die Arbeit
mit dem Programm der SA bestärkte mich wiederum in meiner Hoffnung, dass
eine Verbesserung nicht nur möglich, sondern garantiert ist, wenn man
die notwendigen Bedingungen erfüllt.
Ich betete immer mehr. Ich bemerkte, dass besonders das Gegrüßet seist
du Maria mir sehr behilflich war. Oftmals erfuhr ich beim Beten desselben,
dass aufdringliche Gedanken verschwanden, ich mich beruhigte oder der
Schmerz im Kopf nachließ. Es wurde mir immer deutlicher, wie sehr meine
Weltsicht verfälscht war, wie sehr ich mich bemühte, nicht zu sehen, dass
Gott die Liebe ist … Zum ersten Mal in meinem Leben las ich das Neue Testament,
was sehr dazu beitrug, meinen Glauben an die Güte Gottes zu stärken. Bei
meiner Arbeit mit dem Programm der SA lernte ich auch, meinen ganzen Willen
und mein ganzes Leben Gott anzuvertrauen.
Ich konnte meine neue Arbeit halten und wurde mit der Zeit auch befördert;
meine Frau fing auch an, dazu zu verdienen. So konnten wir den Ausstieg
aus den finanziellen Problemen schaffen. Trotzdem war mein Allgemeinbefinden
sehr wechselhaft. Ängste und Schlaflosigkeit waren ein fester Bestandteil
meines Lebens in den ersten Jahren der Heilung. Jede Unterbrechung der
Arbeit an der Verwirklichung des Programms der SA brachte eine Krise mit
sich, die sich in einer Eskalation der erwähnten Probleme sowie in Konzentrationsschwierigkeiten
und einer allgemeinen emotionalen Instabilität äußerte. Deshalb bemühte
ich mich, sowohl an den Treffen für Sexsüchtige als auch an denen für
Drogenabhängige teilzunehmen. Bei den Treffen für Sexabhängige fühlte
ich mich immer unwohler. Ich fühlte mich nicht sicher, wenn bei einem
Treffen jemand den Begriff der Abstinenz und Nüchternheit relativierte
oder ganz offen sagte, er gesunde in Richtung einer festen, homosexuellen
Beziehung.
Im Herbst 2005 entwickelte sich die Gruppe in eine Richtung, die für
mich nicht mehr tragbar war. Sie löste sich auch faktisch auf und die
Mehrheit der Mitglieder wechselte zu einer amerikanischen Gruppierung,
die zwar einen schönen Namen trug, deren Philosophie aber aussagte, dass
jeder sich seinen Begriff von Abstinenz und Nüchternheit selber definieren
müsse. Die Schwäche des vorherigen Programms, die auf einer fehlenden
Präzision der Grundsätze beruhte, schaffte Platz für einen im Programm
verankerten Relativismus, der immer schlecht ist, im Fall von Suchtkranken
aber schier tödlich wirken kann.
Mit ein paar anderen Sexsüchtigen unterstützte ich die Gemeinschaft der
SA in Polen, was dazu führte, dass seit dem Herbst 2005 regelmäßige Treffen
stattfinden konnten. Ganz wesentlich war für mich die Tatsache, dass die
Anonymen Sexsüchtigen die sexuelle Abstinenz ganz eindeutig als Enthaltsamkeit
von jedwedem Suchtverhalten definieren. Was die sexuelle Nüchternheit
betrifft, so weisen sie daraufhin, dass man sie entweder durch vollkommene
Enthaltsamkeit (Zölibat) oder eheliche Liebe erreichen kann. Von da an
besuchte ich nur noch selten andere Gruppierungen und konzentrierte mich
auf meinen Heilungsprozess bei den SA. Ich arbeitete damals nicht nur
unter der Leitung meines Sponsors, sondern war ebenfalls als Sponsor für
andere tätig, um ihnen bei der Verwirklichung des Programms der SA zur
Seite zu stehen.
Die Entdeckung der Tiefe
Monate vergingen und ich erreichte durch meine Arbeit mit dem Programm
weitere positive Ergebnisse. Im Dezember 2005 fühlte ich das Bedürfnis
nach einer Beichte, obwohl ich seit Jahren gar nicht mehr am Kirchenleben
teilgenommen hatte. Diese Beichte wurde zu einem tiefen Erlebnis für mich.
Sie war eine Kehrtwende in meinem Leben – danach kehrte ich zur Kirche
zurück. Alle Zweifel, die mich seit meiner Pubertät in Glaubensfragen
gequält hatten, wichen schrittweise zurück. Nicht nur die Sakramente,
selbst die bloße Anwesenheit in der Kirche wirkte beruhigend auf mich.
Mein Beichtvater machte mich darauf aufmerksam, dass der Tag, an dem meine
Heilung begann, von großer Bedeutung sei (es handelte sich um den Geburtstag
der Allerheiligsten Jungfrau Maria). Ich fühlte, dass ich eigentlich niemals
alleine gewesen war. Gott hat mir, wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen
Sohn, immer wieder Gnaden geschenkt, nur wollte ich diese Gnaden weder
annehmen noch mich öffnen. Seit dieser Beichte empfange ich die Sakramente
regelmäßiger. Ich sorge mich auch darum, dass meine Kinder im Glauben
wachsen. Es war für mich wunderbar, dass ich meinem Sohn bei seinen Vorbereitungen
auf die Erste Heilige Kommunion helfen konnte.
Dergestalt aufgebaut arbeitete ich weiter mit dem Programm der SA. Weitere
positive Veränderungen traten ein. Schrittweise wurde ich auch alle meine
Ansichten los, die mir immer wieder Unruhe bereitet haben. Insbesondere
gab ich meine Überzeugung auf, ich müsste immer mit anderen rivalisieren,
denn ich hatte daran geglaubt, dass Rivalität die Welt regiert, dass die
Schwachen nur Verachtung und nichts Gutes verdienen und dass die Menschen
einen unterschiedlichen Wert besitzen, abhängig von ihren Talenten oder
Eigenschaften. Ich verlor auch die Ãœberzeugung, dass ein Mann Sex haben
muss, um seine Männlichkeit zu beweisen, und dass Sex eine physiologische
Notwendigkeit darstellt. Im Unterschied zu vorher, als ich süchtig war,
fühle ich mich weder einsam noch unangepasst und habe viele Freunde und
Bekannte. Ich liebe es, die Schönheit der Natur zu bewundern, zu lachen.
Weil ich meiner Familie eine gute Zukunft bieten möchte, habe ich ein
Studium begonnen.
Auch das Verhältnis zu meiner Frau ist besser geworden. Sie gefällt mir
jetzt sehr und zieht mich an. Zum ersten Mal im Leben fühlte ich Liebe,
als ich sie umarmte. Wenn ich mich durch ihre Nähe erregt fühle, verspüre
ich nicht die Notwendigkeit einer sofortigen sexuellen Erfüllung. Ich
bin zärtlich und geduldig. Meine Sexualität wurde durch die Jahre der
Heilung dermaßen gereinigt, dass ich dachte, ich könnte durchaus meine
Liebe durch Sex ausdrücken. Diese Hoffnung erwies sich jedoch als verfrüht
wegen der vielen Verletzungen und Wunden, die ich meiner Frau zugefügt
habe sowie meine eigene Unreife. Beide tragen wir die Konsequenzen meiner
Sucht. Die Sucht hatte in der Vergangenheit eine wirkliche persönliche
Annäherung und ein echtes Kennenlernen verhindert. Jetzt ist es manchmal
so, dass wir richtig schockiert sind, wenn wie die Wahrheit übereinander
erfahren. Deshalb ist der Prozess der körperlichen Annäherung ins Stocken
geraten. Ich mache mir keine großen Sorgen darüber, obwohl ich die Nähe
meiner Frau vermisse. Ich weiß, dass Gott in Seiner Weisheit und Liebe
die beste Lösung für uns gewählt hat. Aus den Büchern der SA weiß ich,
dass ich durch Enthaltsamkeit nichts verliere. Letztens habe ich auch
angefangen, regelmäßig für meine Frau zu beten, was dazu geführt hat,
dass ich mich nicht mehr so über sie aufrege wie früher. Wir sind seit
18 Jahren verheiratet, aber erst seit April 2007 streiten wir nicht mehr.
Nachdem ich mithilfe des Programms die Arbeit an meinen Verletzungen
und Charakterschwächen abgeschlossen habe, setze ich mich gegenwärtig
mit den Verletzungen, die ich anderen Menschen angetan habe, auseinander,
ich arbeite an einer Wiedergutmachung und ordne Beziehungen neu. Ich habe
mein Leben auf die verschiedenen Abneigungen hin analysiert, die ich anderen
Menschen, Gott und auch mir selber gegenüber empfunden habe. Ganz wesentlich
ist die tägliche Vergebung. Ich erkannte, dass sich hinter meiner Abhängigkeit,
hinter dem unermesslichen Leid, welches ich Gott, anderen Menschen und
mir selber zugefügt habe, schlechte Charaktereigenschaften verbergen,
die auf die 7 Hauptsünden zurückzuführen sind. Bei mir war nicht die Begierde
für alles verantwortlich, sondern der Hochmut. Dieser war der Drahtzieher
bei der Entwicklung meiner Krankheit. Heute muss ich lernen, demütig zu
sein.
***
Die Sucht ist wie ein Krebsgeschwür, das die Seele befällt. Seine Ausbreitung
lässt sich aufhalten, doch seinen Falltür-Mechanismus kann man nicht aus
dem Inneren des Menschen entfernen. Ich lebe seit vier Jahren enthaltsam,
doch ich weiß sehr wohl, dass dieser Mechanismus in mir existiert. Manchmal
heilt Gott sofort, insbesondere durch die Sakramente, doch der Mensch
muss sich für die Wirkung der Gnade öffnen, damit Gott ihn heilen kann.
Suchtbefallene Menschen tun dies meistens nicht. Sie wehren sich mit Händen
und Füßen vor diesem Öffnen. Ich wehrte mich auch. Das Programm der 12
Schritte der SA erwies sich in meinem Fall als Heilmittel gegen die Verstocktheit.
Ein anonymer Sexsüchtiger bezeichnete einmal dieses Programm als „geistige
Übungen in einer Version für besonders verstockte und rebellische Sünder“.
Ich mag diese Methode. Durch die Gnade Gottes verdanke ich ihr mein Leben.